Gerade drückten sie noch die Schulbank, jetzt feierten sie mit ihrer Show Premiere im Ulmer Zelt: die Absolventen der Staatlichen Artistenschule Berlin. Elf junge Künstler, die erst am Mittwoch ihre Abschlussprüfung absolviert hatten, zogen die Zuschauer bei ihrem Tourneeauftakt mit ihrer Show "Grammophobia" von Anfang bis Ende in ihren Bann.

Anders als in den Vorjahren gab es bei "High Voltage", dem Ulmer Hochspannungsvarieté, diesmal keinen Moderator. Die fulminante Zirkus-Theatershow, die Artistik vom Feinsten mit originellen Einfällen, Pantomime und genüsslicher Parodie verband, war selbsterklärend.

Gleich zu Beginn legte Sebastian Stamm mit einer Breakdance-Einlage los, die er am Chinesischen Masten so gekonnt fortführte, dass einem die Spucke wegblieb. Der große Mast war dafür in der Mitte des Zeltes platziert worden, ebenso das Trapez und die Zwillingsschlaufen, so dass die Zuschauer um das Spektakel herum saßen.

Langsam, ganz langsam erwachte schließlich das Leben auf der Bühne: eine Dachkammer mit allerlei altem Gerümpel, Kleidern, Schallplatten und - einem Gram-mophon. Sebastian legte eine Platte auf, und schon tauchten zehn weitere Artisten unter ihren Decken und hinter den Möbelstücken her-vor.

Nun gab es kein Halten mehr: Bei der einfallsreichen Inszenierung des Schweizers Philipp Boë jagte eine raffinierte Choreografie im Wechsel mit atemberaubender Ak-robatik die andere, wobei die komödiantischen, pantomimischen Einlagen zu Musik aus allen Stilrichtungen auch die Vielseitigkeit der Künstler zeigte: beispielsweise Moritz Haase, der sich nach einer Persiflage über Modeschauen und Schwanensee aufs Trapez schwingt, wo er ebenso elegante wie scheinbar mühelose Artistik präsentiert.

Dann die beiden langjährigen Freunde Mario Kunzi und Joschka Schneider, die in ihrer Parodie Elemente von Dick und Doof und Gene Kelly mit gekonnter, wie nebenbei eingeworfener Partner-Akrobatik verbinden. Dazwischen immer wieder das Grammophon, das zum Selbstläufer wird. Plötzlich beginnt das gute alte Stück sich wie ein Staubsauger-Roboter über die Bühne zu bewegen und die Regie über die Akteure zu übernehmen. Doch die versuchen, sich aus seinem Diktat zu befreien. Anissa Elakel scheint mehr auf den Händen als auf den Füßen zu Hause zu sein. Der lustige, zu jedem Spaß aufgelegte Nico Leist bewegt sich auf dem wackeligen Schlappseil wie ein Supermodel auf dem Catwalk, und Mia Mattenklott fühlt sich mit ihren Kapriolen an den Zwillingsschlaufen sichtlich wohl. Donial Kalex zeigt nicht nur, dass man locker mit mehr als drei Bällen und den Füßen jonglieren kann, sondern auch eine Fülle noch nie gesehener Wurfkombinationen.

Zum Schluss die drei Funky Monkeys, Toan Le, Ferenc Heinrich und Milu Chuh. Sie versuchen sich ebenfalls am Masten und bringen die Zuschauer mit ihren spektakulären Ideen in Wallung. Stehende Ovationen für eine leidenschaftliche, gewollt chaotische und dennoch runde Vorstellung. Das Ulmer Publikum freut sich auf ein Wiedersehen!

 

Text: Petra Lehmann, Südwest Presse
Foto: Matthias Kessler